Die Ausstellung
- On 16 October 2019
Florenz,
Klosteranlage Santa Maria Novella
vom 13. September bis 15. Dezember 2019
Kuratoren Fritjof Capra, Stefano Mancuso, Valentino Mercati.
Gefördert von der Stadt Florenz, konzipiert und aufgebaut von Aboca mit der wissenschaftlichen Koordination und Organisation von MUS.E.
Kommet, oh Menschen, und sehet die Wunder,
(Leonardo da Vinci, Codex Madrid I, folio 6r)
die man mit diesen Studien in der Natur entdeckt.
Die Studien und Eingebungen Leonardo da Vincis zu den Formen und Strukturen der Pflanzenwelt stehen im Mittelpunkt einer groß angelegten Ausstellung im Herzen von Florenz.
Originalmanuskripte,
natürliche Elemente und interaktive Installationen
regen zum Nachdenken über wissenschaftlichen Fortschritt und nachhaltigen
Umweltschutz an.
Auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten zu Ehren Leonardo da Vincis wird am Freitag, den 13. September, in Florenz die Ausstellung The Botany of Leonardoeröffnet. Sie wirft ein Schlaglicht auf die botanischen Studien des toskanischen Genies, die trotz seiner Berühmtheit wenig bekannt sind. Dabei wird vor allem die „universelle“ wissenschaftliche Denkweise beleuchtet, die heute mehr denn je von Bedeutung ist, da es gilt, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur neu zu überdenken.
Originalzeichnungen, interaktive Installationen und echte Pflanzen bringen dem Besucher die Eingebungen und innovativen Ideen der „systemischen“ Denkweise da Vincis näher. Der Universalgelehrte verband Kunst und Wissenschaft und betrachtete das Leben und die Natur (einschließlich der Menschen) als ein großes Ganzes, in dem alles miteinander verbunden und in ständiger Bewegung ist.
Die in den eindrucksvollen Räumen der Klosteranlage Santa Maria Novella, im ehemaligen Dormitorium und im großen Kreuzgang angelegte Ausstellung illustriert und erläutert die botanischen Entdeckungen Leonardos (der beispielsweise den Zusammenhang zwischen den Ringen eines Baumstamms und dem Alter des Baumes erkannt hat) anhand einer außergewöhnlichen Sequenz detaillierter Zeichnungen von Blättern und Pflanzen. Die Ausstellung zeigt und betont vor allem, dass Kunst und Wissenschaft für Leonardo untrennbar miteinander verbunden waren: Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse waren nie nur einfach beschreibend und seine Zeichnungen waren nie nur einfach ästhetisch. Seine „systemische“ Sichtweise, die das komplexe Verhältnis zwischen Mensch und Natur hinterfragte, ist fünf Jahrhunderte nach seinem Tod relevanter als je zuvor.
Dieser Gedanke wird auch in der Ausstellung sichtbar: Im imposanten Kreuzgang des Klosters sind die fünf platonischen Körper ausgestellt, die Leonardo zur Illustration des Werks „De Divina Proportione“ von Luca Pacioli gezeichnet hat. Sie symbolisieren nicht nur Harmonie und formale Perfektion, sondern auch die Komplexität und das Mysterium der Welt. Die Polyeder werden begleitet von einer Reihe von Pflanzen, die auch in Leonardos Schriften abgebildet oder zitiert werden. Gleichzeitig erfolgt eine Einführung in die philosophische, künstlerische und technische Renaissance im Florenz des 15. Jahrhunderts. Bei dieser Gelegenheit wird auch die komplexe Denkweise Leonardos im Vergleich zu den damals üblichen alchemistischen Verfahren und Techniken aufgezeigt, wobei Leonardo durch den Aufenthalt in der Natur zu seinen Einsichten gelangt. In den Innenräumen führt die Ausstellung in eine Art Traumwelt aus miteinander verflochtenen Bäumen und Blättern, die in ihrer spielerischen Darstellung zwischen Realität und Virtualität an die von Leonardo angefertigten Fresken in der „Sala delle Asse“ im Castello Sforzesco in Mailand erinnern. Im ehemaligen Dormitorium des Klosters verzweigt sich die Ausstellung wie ein pflanzlicher Organismus in mehrere Bereiche. Dank der digitalen und multimedialen Gestaltung der Ausstellung lässt sich das Werk Leonardos auf spektakuläre Weise erfahren. Seine Zeichnungen, Gemälde und Schriften sowie seine wichtigen botanischen Erkenntnisse werden interaktiv und zeitgemäß dargestellt. Anhand seinerStudien zu Jahresringen der Bäume (Dendrochronologie) kann die Menschheitsgeschichte und ihre großen Ereignisse nachverfolgt werden. Eindrucksvolle Studien zum Photo- und Geotropismus zeigen, wie sich die Natur an wechselnde Umweltbedingungen anpasst. Dynamische Installationen verdeutlichen die Regeln der Phyllotaxis (regelmäßige Anordnung von Pflanzenblättern) und die Theorie vom konstanten Fluss der Pflanzensäfte derBäume (auch als „Leonardo-Prinzip“ bezeichnet), sodass sich die einzelnen Phänomene bestens nachvollziehen lassen. Weiter geht es mit den botanischen Entdeckungen Leonardos: Die von ihm erkundete pflanzliche Anatomie, mit der jedes noch so kleine Detail einer Blüte, eines Zweiges oder eines Blattes dargestellt werden kann, wird in Bezug zu damaligen Kunstwerken gesetzt. Die wunderbaren pflanzlichen Details in seinen berühmten Gemälden sind so realistisch wiedergegeben, dass man sie als „Pflanzenportraits“ bezeichnen könnte. Sie laden den Besucher ein, den Ursprung der für die Malerei verwendeten pflanzlichen Farbpigmente zu erkunden. Der Rundgang führt vorbei an drei wertvollen Originalblättern des Codex Atlanticus aus der Biblioteca Ambrosiana (f.197v, f.663r, f.713r) und schließt mit einer Überarbeitung des berühmten „vitruvianischen Menschen“, der den Besucher einlädt, über das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur nachzudenken. Am Ende steht eine außergewöhnliche Installation über die Vernetzung aller Lebensformen, die Leonardo wohl bekannt war, heutzutage aber oft vergessen wird.
„Florenz hat den Universalgelehrten Leonardo da Vinci in den vergangenen Monaten mit zahlreichen Ausstellungen zu unterschiedlichen Aspekten geehrt“, erklärt der Bürgermeister Dario Nardella. „Die Uffizien haben den Codex Leicester in die Stadt geholt; die Hauptausstellung im Palazzo Strozzi war dieses Jahr Leonardos Lehrmeister Verrocchio gewidmet; im Palazzo Vecchio dagegen wurde die enge Verbindung zwischen Leonardo und Florenz beleuchtet, der Stadt, in der er sich mehr als an jedem anderen Ort weitergebildet und großartige Meisterwerke geschaffen hat – gezeigt anhand einer Auswahl von Blättern aus dem Codex Atlanticus. Zum Abschluss des Leonardo-Jahres widmen wir uns nun einem anderen Aspekt, nämlich seinem bedeutenden Beitrag zur Geschichte der Botanik. Leonardos scharfe Beobachtungsgabe und seine kontinuierlichen Experimente führten zu einer dynamischen Sichtweise der Wissenschaft, die uns auch heute noch viele Anregungen liefert.“
„Die Auseinandersetzung mit dem systemischen Denkansatz Leonardos, der die Natur und die Beziehungen zwischen den einzelnen Lebensformen durchschaut hat“, erläutert Massimo Mercati, Geschäftsführer von Aboca, „ist ein universeller Ansatz, um die Aufmerksamkeit wieder auf die Eigenschaften natürlicher Komplexe zu lenken und das, was für das Genie Leonardo nur eine Intuition war, wissenschaftlich zu untermauern.“
„Wir freuen uns, zu einem so ambitionierten und visionären Projekt beizutragen“, betont Matteo Spanò, Präsident von MUS.E. „Eine wirklich mitreißende Ausstellung, die zahlreiche Ausdrucks- und Lesarten miteinander verbindet. Diese Ausstellung ist eine hervorragende Gelegenheit, um der Öffentlichkeit einen weniger bekannten Aspekt von Leonardos Denken näher zu bringen und das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und dem gesamten Planeten neu zu überdenken.“
Die Kuratoren der Ausstellung sind Stefano Mancuso, weltweit einer der führenden Koryphäen auf dem Gebiet der Pflanzenneurobiologie, Fritjof Capra, Physiker und Systemtheoretiker sowie Forscher zum Thema Leonardo da Vinci und Valentino Mercati, Gründer und Vorsitzender von Aboca.
Wissenschaftliche Koordination: Valentina Zucchi, MUS.E. Organisation: Aboca und MUS.E.
The Botany of Leonardowurde von Aboca konzipiert und aufgebaut. Das Healthcare Unternehmen aus der Toskana stellt seit über 40 Jahren zu 100 % natürliche Gesundheitsprodukte her – wohltuend für den Körper und schonend für die Umwelt. Aboca ist eine Benefit Corporation, die sich fortwährend für das Gemeinwohl engagiert.
Weiterführende Informationen finden Sie unter www.leonardodavincibotany.com.
Veranstaltungen, Führungen und Aktivitäten.
Zur Eröffnung und während der gesamten Ausstellungsdauer steht den Besuchern ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm zur Verfügung, um die Denkweise Leonardos aus heutiger Sicht zu beleuchten. Auf dem Kalender stehen zahlreiche Veranstaltungen in Florenz und anderen italienischen Städten, wo Gelehrte und Philosophen (darunter Giulio Giorello und Massimo Recalcati) gemeinsam über das herausragende Werk von Leonardo da Vinci debattieren und den von ihm, vor 500 Jahren vorgeschlagenen, systemischen Denkansatz mit den heutigen Kenntnissen analysieren.
Darüber hinaus bietet die Ausstellung weitere Möglichkeiten, um Leonardo besser kennenzulernen – auch für Familien und Kinder. So zum Beispiel botanische Spaziergänge mit Leonardo. Mit Botanikern von Aboca durchstreifen Sie Florenz auf der Suche nach Pflanzen, die gegen Beton und Asphalt ankämpfen und schon zu Zeiten Leonardos hier lebten. Oder Kurse für Kinder, in denen ihnen die große Experimentierfreude des Genies nähergebracht wird.
Während der gesamten Ausstellungsdauer finden täglich Führungen in englischer und italienischer Sprache für Privatpersonen (Mo-Di-Mi-Do-Sa um 10.30 und um 12.00 Uhr; Fr und So um 14.30 und 16.00 Uhr) und Schulklassen statt. Leitung und Organisation: MUS.E.
Informationen:
The Botany of Leonardo. A vision of science bridging art and nature.
13. September – 15. Dezember 2019
Klosteranlage Santa Maria Novella mit zwei Eingängen auf der Piazza della Stazione 4 und der Piazza Santa Maria Novella (Basilika)
TICKETS:
Kombiticket Ausstellung + Klosteranlage Santa Maria Novella
Regulär € 10,00 – Ermäßigt € 7,50 (11–18 Jahre)
Freier Eintritt für Bürger der Stadt Florenz (Ausweiskontrolle) und Kinder unter 11 Jahren.
Führungen in italienischer und englischer Sprache nach Voranmeldung
Regulär € 5,00
Ermäßigt € 2,50 (Bürger der Stadt Florenz)
ÖFFNUNGSZEITEN:
September
Montag bis Donnerstag: 09.00 – 19.00 Uhr
Freitag: 11.00 – 19.00 Uhr
Samstag: 09.00 – 17.30 Uhr
Sonntag: 12.00 – 17.30 Uhr
Oktober – Dezember
Montag bis Donnerstag: 09.00 – 17.30 Uhr
Freitag: 11.00 – 17.30 Uhr
Samstag: 09.00 – 17.30 Uhr
Sonntag: 13.00 – 17.30 Uhr
Letzter Eintritt und Kassenschluss 45 Minuten vor Ende der Öffnungszeit.
Sonderöffnungszeiten
Samstags und Tage vor kirchlichen Feiertagen: 09.00 – 17.30 Uhr
Sonntags und an kirchlichen Feiertagen: 13.00 – 17.30 Uhr
INFORMATIONEN UND RESERVIERUNGEN:
MUS.E Firenze
Für Privatpersonen:
+39 055 2768558 / +39 055 2768224
info@muse.comune.fi.it
Montags bis samstags 09.30 – 13.00 und 14.00 – 17.00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen 9.30 – 12.30 Uhr
Für Schulen:
Tel. +39 055 2616788
didattica@muse.comune.fi.it
Montags bis freitags 09.30 – 13.00 und 14.00 – 16.30 Uhr
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
Die Botanik
„Die Natur hat die Blätter der letzten Zweige vieler Pflanzen so eingerichtet, dass das sechste Blatt immer über dem ersten steht, und immer so fort, solange diese Regel nicht verletzt wird.“
Ms. G, f.16v
Leonardo hat zahlreiche Zeugnisse seines Interesses an der Pflanzenwelt hinterlassen, die uns neue Einblicke in sein Denken und sein geistiges Erbe gestatten. Dazu gehören die wunderbaren Zeichnungen von Windsor und die zarten Skizzen aus seinen Tagebüchern ebenso wie seine Notizen zur Morphologie und Physiologie der Pflanzen. Nicht zu vergessen sein Traktat über die Malerei und seine akkuraten Darstellungen in seinen Gemälden sowie vergleichende Betrachtungen unterschiedlicher lebender Spezies.
Leonardo hat im Laufe seines Lebens unzählige Pflanzenstudien angefertigt, die den ihm eigenen wissenschaftlichen Ansatz widerspiegeln. Ein Ansatz, der die aufmerksame Beobachtung der Formen und die experimentelle Überprüfung der Daten mit der Untersuchung von Strukturen, Prozessen, Mustern und Wachstumsmodellen kombiniert, um eindeutige Regeln zu erkennen und Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Spezies und Umgebungsbedingungen aufzuzeigen. Leonardo untersucht sowohl die organischen Formen und Muster der Pflanzen als auch die Wachstums- und Stoffwechselprozesse und formuliert so wichtige Einsichten im Bereich der pflanzlichen Morphologie und Physiologie. Zu seinen wichtigsten Beobachtungen zählen: die Phyllotaxis, das heißt die regelmäßige Anordnung der Blätter an einem Zweig; der Fluss des Humerus, des Lebenssafts der Bäume, der nach einem konstanten Gesetz verteilt wird und deshalb auch als „Leonardo-Prinzip“ bezeichnet wird; der Geo- und Phototropismus, Phänomene die zeigen, wie Pflanzen auf die Gesetze der Schwerkraft und auf Licht reagieren; die Dendrochronologie und die Dendroklimatologie, die Anzahl und Eigenschaften der konzentrischen Ringe im Baumstamm mit seinem Alter und den vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen in Beziehung setzen.
Die Kunst
„Die Malerei vereint alle Naturformen in sich.“ (Cod. Urb. Lat. 1270, f.8v)
Leonardo da Vinci verfügte über eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe und ein starkes visuelles Gedächtnis. Er konnte die komplexen Wirbel eines fließenden Gewässers ebenso zeichnen wie die schnellen Flügelbewegungen eines Vogels und die Form und das Wachstum von Pflanzen. Er war sich seines außerordentlichen Talents durchaus bewusst und betrachtete seine Augen als sein wichtigstes Instrument – sowohl als Maler als auch als Wissenschaftler. Leonardo hatte eine visuelle Herangehensweise an die wissenschaftliche Erkenntnis. Er betonte immer wieder den engen Zusammenhang zwischen der künstlerischen Darstellung natürlicher Formen und dem intellektuellen Verständnis ihrer inneren Natur und zugrundeliegenden Prinzipien. Für Leonardo war Zeichnen das ideale Mittel, um seine Vorstellungen zu artikulieren, eine perfekte „Mathematik“ für seine Wissenschaft der organischen Formen. Die Malerei stellt für Leonardo die größtmögliche Synthese zwischen Kunst und Wissenschaft dar, eine Wissenschaft der natürlichen Formen oder der Qualitäten im Gegensatz zur späteren mechanistischen Wissenschaft von Galileo Galilei, René Descartes und Isaac Newton.
Die Ausstellung ist eine wunderbare Gelegenheit, das visuelle und zeichnerische Können Leonardos im Hinblick auf die Pflanzenwelt zu bewundern. Als aufmerksamer Beobachter analysiert er jedes Detail und gibt die Natur absolut realistisch wieder. Er verzichtet auf die stereotype Darstellung bei der visuellen Beschreibung von Pflanzen, Blättern, Blüten und Früchten. Seine Werke, die über ein Maximum an künstlerischem Ausdruck verfügen und gleichzeitig Instrumente wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind, zeigen uns, warum seine Wissenschaft nicht ohne seine Kunst und seine Kunst nicht ohne seine Wissenschaft zu verstehen ist.
Die Wissenschaft
„[…] Zuerst mache ich einige Experimente, denn ich möchte zuerst durch das Experiment und dann mit der Vernunft beweisen, dass das Experiment nur so funktionieren kann; diese Methode gilt es bei der Untersuchung aller Arten von Naturphänomenen zu befolgen.“
Ms. E, f.55r
Im Florenz der Renaissance existierte keine Wissenschaft im heutigen Sinne, also eine empirische Methode, um Kenntnisse über die natürliche Welt zu erhalten. Die Kenntnis natürlicher Phänomene war noch stark geprägt von den Studien der Antike – vor allem durch Aristoteles – und von der mittelalterlichen Scholastik. Leonardo hat diese Tradition radikal erneuert.
Hundert Jahre vor Galileo Galilei und Francis Bacon entwickelte Leonardo da Vinci einen neuen empirischen Ansatz, der die systematische Beobachtung der Natur, das logische Denken und die Mathematik – also die Hauptmerkmale dessen, was heute als wissenschaftliche Methode bezeichnet wird – beinhaltet.
Die Wissenschaft von Leonardo nimmt Bezug auf lebendige Formen, die durch ihnen innewohnende Prozesse ständig umgeformt und verwandelt werden. Sein ganzes Leben lang beobachtet, untersucht und zeichnet er Felsen und Erdformationen, die im Laufe der Zeit geformt wurden. Er beschreibt Form und Wachstum der Pflanzen, die durch ihren Stoffwechsel modelliert werden, ebenso wie die Anatomie von Tieren und Menschen in ihren Bewegungen und in ihrer Entwicklung. Er versucht, die Natur des Lebens umfassend zu begreifen: Die Natur des Lebens, die nach der Erforschung auf zellulärer und molekularer Ebene heute wieder in Bezug auf Transformationsprozesse und Organisationsmuster untersucht wird.
Auch die alchemistischen Verfahren werden von Leonardo als neue Wissenschaft untersucht, die Bezug auf die Naturgesetze nimmt. Leonardo verachtet all diejenigen, die die Natur beherrschen oder deren Gesetze brechen wollen. Er fordert vielmehr, die alchemistischen Techniken durch den „Aufenthalt in der Natur“ zu erkennen und zu erfahren: Durch die Beachtung der natürlichen Grundsätze und deren zahlreichen Varianten kann der Mensch mit geeigneten Instrumenten an der Kombination und Weiterentwicklung der natürlichen Prozesse arbeiten und so nützliche und effektive Ergebnisse erzielen (im Gegensatz zur Denkweise von Paracelsus (1493–1541), der mit dem Beginn des Reduktionismus in Verbindung gebracht wird).
Der systemische Denkansatz
„Wenn wir also sagen, dass die Erde einen vegetativen Kern hat, und ihr Fleisch der Boden ist, ihre Knochen die Gesteinsschichten sind, die die Berge bilden, ihre Knorpel die Tuffsteine sind, ihr Blut die Wasseradern sind, der Blutsee, der rund um das Herz liegt, das Meer ist, ihr Atmen […] Ebbe und Flut sind, und die Hitze des Erdkerns das Feuer ist, das in der Erde sitzt […].“
Codex Leicester, f.34r
In der Wissenschaft moderner Prägung würde man Leonardo da Vinci als einen systemischen Denker bezeichnen. Ein Phänomen zu verstehen bedeutete für ihn, eine Verbindung zu anderen Phänomenen mit ähnlichen Mustern herzustellen.
Die Beobachtung und Untersuchung der Pflanzenwelt werden in allgemeine und systemische Überlegungen einbezogen. Für Leonardo ist die gesamte Natur eine lebendige Einheit mit ähnlichen Prozessen, Strukturen und Mustern. Die natürlichen Erscheinungen, die heute mithilfe der Geologie, Biologie, Fluiddynamik, Botanik und Ökologie erforscht werden, stellen für Leonardo Fäden ein und desselben Gewebes dar, das starke Ähnlichkeit mit dem menschlichen Körper aufweist.
Er hat sich nicht mit den unzähligen wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten zur Beherrschung der Natur befasst. Auch wenn er nicht alle Mechanismen und Gründe verstand, achtete er die Natur aufgrund ihrer Komplexität und blieb lebenslänglich überzeugt, dass die Natur intelligenter als der Mensch sei. Er spürte intuitiv, dass Wissen aus der Achtung der Natur und dem Lernen von ihr hervorgeht. Diese umfassende Ökologie betrachtet die Welt als ein vernetztes System, in dem alle Komponenten voneinander abhängen, und erkennt den intrinsischen Wert aller Lebewesen an.
Deshalb ist das Vermächtnis Leonardos auch heute noch von Bedeutung: Während unsere Wissenschaften und Technologien einen stark eingeschränkten Forschungs- und Wirkungsbereich haben, fordert uns Leonardo dazu auf, eine interdisziplinäre Perspektive zu entwickeln, die einzelnen Facetten der Natur in ihrer Gesamtheit zu betrachten und eine Haltung einzunehmen, die der Komplexität gerecht wird – kurz gesagt: eine „universale Haltung“.Was wir heute brauchen, ist genau die Sichtweise, die Leonardo da Vinci vor 500 Jahren aufgezeigt hat.
Die Polyeder
Eine der berühmtesten Zeichnungen da Vincis zeigt einen menschlichen Körper, der sich harmonisch in einen Kreis und in ein Quadrat einfügt. Leonardo nimmt die von Marco Vitruvio Pollione im klassischen Altertum ausgearbeitete Proportionenlehre wieder auf und bezieht sich dabei auf natürliche Größenverhältnisse, die in diesem Fall anhand des menschlichen Körpers dargestellt werden.
Das Logo der Ausstellung – ein Dodekaeder mit einem Maulbeerbaum in der Mitte – spielt mit der Vorstellung, dass der Baum den Platz des Menschen im Zentrum der natürlichen Harmonie einnimmt. Der Maulbeerbaum (Morus alba) gehört zu den Pflanzen, die Leonardo da Vinci am meisten liebte. Er stellte ihn in seinem Deckengemälde in der „Sala delle Asse“ im Castello Sforzesco in Mailand als einziges Thema dar.
Neben einer Reihe von Begleitveranstaltungen bespielt die Ausstellung “The Botany of Leonardo” die Stadt Florenz im Kreuzgang des Klosters Santa Maria Novella und auf einigen weiteren öffentlichen Plätzen mit Installationen der fünf platonischen Körper, die nach den Vorstellungen der griechischen Antike und der Neuplatoniker die fünf Elemente des Kosmos darstellen: der Hexaeder steht für die Erde, der Ikosaeder für das Wasser, der Oktaeder für die Luft, der Tetraeder für das Feuer und der Dodekaeder für das gesamte Universum. Leonardo da Vinci zeichnete die Polyeder für das Manuskript De Divina Proportione von Luca Pacioli. Aus der Auseinandersetzung mit diesem Thema entwickelt Leonardo im Laufe der Jahre weitreichende Überlegungen zur Arithmetik, zu den Proportionen und zur euklidischen Geometrie – den Bestandteilen der Welt, die in der systemischen Denkweise Wissenschaft, Philosophie und Kunst miteinander verbinden.
Die platonischen Körper symbolisieren auch heute noch Harmonie und formale Perfektion. Zugleich sind sie Abbildung der Komplexität und des Mysteriums des Universums und damit unseres Wissens.
Aboca und Leonardo
Ebenso wie bei Leonardo da Vinci steht die Beziehung zwischen Mensch und Natur bei der Aboca-Forschung im Mittelpunkt. Vor über 40 Jahren entsteht Aboca aus dem Gedanken, die Heilpflanzen zu erforschen und die wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Nutzung zu erweitern, um die menschliche Gesundheit zu fördern und die Umwelt zu schonen.
Der Gedanke von Aboca beruht auf dem Verständnis einer Symbiose, die das System der Beziehungen zwischen Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellt. Der gleiche Gedanke ist erstaunlicherweise in den Werken Leonardo da Vincis wiederzufinden, der sich vor mehr als 500 Jahren dieselben Fragen stellte und einen Weg vorzeichnete, der auch heute noch logisch und aktuell erscheint.
Leonardo versuchte, die Natur des Lebens umfassend zu begreifen: Eine Natur, die nach der Erforschung einzelner Bestandteile auf zellulärer und molekularer Ebene heute wieder in Bezug auf Transformationsprozesse und Organisationsmuster untersucht wird. All das erforschte da Vinci im Laufe seines Lebens und war dabei erstaunt und beeindruckt von der unendlichen Vielfalt und Diversität unterschiedlicher Lebensformen. Seine Botanik wird so zu einem konkreten Beispiel für eine Forschung, die die Grundlagen für eine neue Wissenschaft der Qualität zwischen Kunst und Natur ansiedelt. Aus ihr entstehen Intuitionen, die dem menschlichen Fortschritt den Weg zu bereiten.
Die systemische Weltsicht von Leonardo da Vinci und die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Forschung und Technik sind wichtige Bausteine für die Beobachtung und Neuinterpretation unserer heutigen Welt. Sie zeigen uns, welchen Platz der Mensch in der Welt einnimmt. Sie machen uns die großen Chancen bewusst, die sich aus einer neuen Denkweise über den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Natur, insbesondere für die Gesundheit, ergeben.
Durch die Prinzipien der Systembiologie und der Systemmedizin haben wir verstanden, dass der menschliche Organismus aus einem komplexen Beziehungsgeflecht von Organen, Zellen und Molekülen besteht, die untereinander und mit der Umwelt in Verbindung stehen. Diese Komplexität spiegelt sich in der Komplexität der Natur wider, die durchnatürliche MolekülkomplexeLinderung für menschlicheBeschwerdenbietet. Nur komplexe Stoffe sind in der Lage, auf die komplexen Bedürfnisse unseres Körpers zu antworten und dabei unsere Physiologie und die Umwelt zu schonen. Die Auseinandersetzung mit den systemischen und ökologischen Denkansätzen von Leonardo, mit seiner tiefen Ehrfurcht vor der Natur mit all ihren miteinander verflochtenen Lebensformen, bedeutet für Aboca eine neue Art der Renaissance ins Leben zu rufen, in der der Mensch zwar noch im Mittelpunkt steht, aber das Bild nicht dominiert. Er ist vielmehr Teil eines harmonischen Universums und strebt nach wahrhaft nachhaltigem Fortschritt.
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